Globalisierung, Digitalisierung, Demografie, Individualisierung – die Arbeitswelt befindet sich in einem dramatischen Umbruch, der zunehmend an Fahrt gewinnt. Sogar das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat inzwischen eine Internetseite zum Thema „Arbeitenviernull“ eingerichtet. Optimisten sehen die Potenziale der Arbeit in der nächsten Gesellschaft: Sinnstiftung, Demokratisierung, Diversity. Pessimisten assoziieren die Arbeitswelt 4.0 eher mit Dave Eggers Digital-Utopie „The Circle“: Selbstausbeutung, Rundum-Überwachung, Cybermobbing. Einige Überlegungen im Nachgang zu einer sehr interessanten Konferenz des instituts für systemische impulse im Juni 2015 in Zürich.
Den großen Bogen hat Dirk Baecker am Ende des ersten Tages gespannt. Um die aktuelle „Reformatierung“ von Arbeit zu verstehen, betreibt er eine soziologische „Medienarchäologie“ und identifiziert vier Phasen in der Menschheitsgeschichte, in denen jeweils spezifische Treiber zu unterschiedlichen Konfigurationen von individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Perspektive auf Arbeit geführt haben. Bemerkenswert an Arbeit 1.0 in der tribalen Gesellschaft war das ritualisierte Entkoppeln und Wiedereingliedern in den Fluss des gesellschaftlichen Lebens. Zurückkehrende Jäger verbrachten eine „Abkühlungsphase“ außerhalb des Lagers, quasi eine Quarantäne, die Baecker im „Feierabendbier“ der Arbeiter, der Blue Hour erhalten sieht, die letztlich einer ähnlichen Funktion dient.
In der antiken Hochkultur erfolgte die Trennung in vita activa und vita contemplativa, ermöglicht durch die erzwungene Delegation der manuellen Tätigkeit an Sklaven. Hierin sieht Baecker die Wurzel der Unterscheidung von körperlicher und geistiger Arbeit und der „Einführung von Herrschaft in die gesellschaftliche Formatierung von Arbeit“, was auch „das Bild begründet, von der Arbeit frei sein zu wollen“. Arbeit 3.0 in der Moderne beginnt mit der Erfindung des Buchdrucks, der nur als Maschine möglich ist, eine Metapher für Berechenbarkeit, Verfahrenssicherheit, Linearität von Ursache und Wirkung, die seither die Semantik von Arbeit mitbestimmt.
Womit er bei der Arbeit 4.0 in der nächsten Gesellschaft angelangt ist, die durch die elektronischen Medien eine nie gekannte „Verrechnung und Verschaltung“ von Bewusstsein, Körper und Technologie ermöglicht (bspw. Fitness- und Gesundheits-Apps, Drohnensteuerung usw.), die u.a. durch Instantinität der Verknüpfung, massive Datenspeicher und den Einsatz von Algorithmen gekennzeichnet ist. Eine spannende Beobachtung Baeckers: das „kalifornische Lächeln“ scheint hier unbedingt dazu zu gehören, „das signalisiert: ich bin inspiriert, ich bin begeistert!“.
Die Wucht dieser Veränderungen ist enorm. Die Faszination, die Menschen verspüren, wenn sie in die unendliche Tiefe eines Tablet-Bildschirms starren, lasse sich eigentlich nur mit der Rätselhaftigkeit der Orakelsprüche der spätantiken Gesellschaft vergleichen. Baecker: „Beim morgendlichen Überprüfen der E-Mails geht es nicht um die Informationen, es geht um die Frage: bin ich noch dabei?“
Nicht mehr lange dabei sind nach Thomas Sattelberger in jedem Fall die DAX-30 Unternehmen, wenn sie nicht bald zur Kenntnis nehmen, welche epochalen Verschiebungen und „disruptiven Innovationen“ gerade um sie herum passieren. Das „Maschinenhaus Deutschland“ wird einerseits vom „Maschinenhaus China“, andererseits vom „digitalen Haus USA“ in die Zange genommen und große Teile der Belegschaft können sich darauf einstellen, durch Algorithmen ersetzt zu werden.
Mit Lust und Wucht führt Sattelberger durchs Programm. Er rekurriert auf die viel zitierte Studie von Osborne und Frey, die für die USA prognostiziert haben, dass 47% der Beschäftigten in Berufen arbeiten, die in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit (> 70%) automatisiert werden. Ich habe hier etwas nachrecherchiert: Das BMAS hat eine Kurzexpertise in Auftrag gegeben, um die Übertragbarkeit auf Deutschland zu prüfen. Auch in Deutschland trifft dies auf 42% der Beschäftigten zu. Aber: „Genau genommen sind [..] Tätigkeiten und nicht Berufe als solche automatisierbar. Berücksichtig man die, so sind in Deutschland nur 12% der Beschäftigten durch Automatisierung betroffen“ (ZEW 2015: 23). Die Gesamtbeschäftigungseffekte, die sich daraus ableiten lassen, sind schwierig abzuschätzen.
Im Gedächtnis bleiben auch die Eurostat-Zahlen zur beschwerdefreien Lebenserwartung (Disability-Free Life Expectancy, DFLE), die Sattelberger präsentiert. Nur 57 Jahre für Frauen und 57,8 beschwerdefreie Lebensjahre für Männer in Deutschland! Ich habe die Zahlen aus dem englischen 2013-er Datensatz von Eurostat aktualisiert, danach schneiden die Schweden nicht mehr ganz so spektakulär ab wie in der 2011-er Statistik, wo sie über 70 Jahre erreicht haben.
Es wird aber trotzdem deutlich, dass es noch einige europäische Vergleiche gibt, bei denen Deutschland nicht auf den ersten Rängen landet. In der EU-28 unterbieten lediglich Lettland (54,2 Frauen / 51,7 Männer), die Slowakei (54,3 / 54,5) und Finnland (56,2 / 57,3) den deutschen Wert. Sattelberger zitiert hier Professor Badura von der Uni Bielefeld, der sich seit Jahren mit den Gesundheitsrisiken der modernen Arbeitswelt beschäftigt und der in diesem katastrophalen DFLE-Wert auch einen „Preis für den wirtschaftlichen Spitzenerfolg“ Deutschlands sieht.
In den Personalabteilungen der Konzernzentralen sind diese Trends insofern angekommen, als dass sie festgestellt haben, dass junge, hochqualifizierte Menschen in abnehmenden Maße bereit sind, die traditionellen Karrierewege zu durchlaufen und sich verstaubten Organisationskulturen unterzuordnen. Ob es allerdings reichen wird, „Chill-out Zonen“ nach Silicon Valley-Vorbild einzurichten, Arbeitsverträge zu flexibilisieren und die Belegschaft zu diversifizieren bleibt fraglich.
Am anderen Ende des Spektrums entsteht derzeit eine lebendige und innovative Start-up Szene, die mehr um gesellschaftliche Ziele als den schnellen Buy-out kreist. Michel Bachmann vom Impact Hub Zürich konnte eindrucksvoll berichten, wie der Hub zur Anlaufstelle für diese neue Generation von Gründern geworden ist. Die Vergrößerung der Fläche ist in vollem Gange und das Hub-Netzwerk wächst weltweit dynamisch.
Was beide Pole verbindet – die Hochkonjunktur des Themas „Sinn“. Dem hatte sich Theo Wehner gewidmet und in einem tollen multimedialen Vortrag gezeigt, warum die Universitäten auch in Zukunft auf Kompetenzaufbau bei logischem Denken und ein klassisch humanistisches Menschenbild setzen sollten.
Die beim Klienten diagnostizierbaren Symptome der (Um-)Brüche werden in der Beraterszene häufig unter dem Buzzword „VUKA“ gebündelt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität). Bleibt nur die Frage – wie jetzt damit umgehen, und was ist eigentlich der Job der BeraterInnen in dieser Transformation? In Zürich bezogen hierzu u.a. Wolfgang Looss, Barbara Heitger und Heiko Fischer Position. Die für mich wichtigsten Impulse und Fragen: